Antwort von Tierarzt Marcus Lewitschek
Sehr geehrte Frau S.
es tut mir leid zu hören, was Sie erleben mussten. Was Sie von den Symptomen und vom Verlauf her beschreiben, scheint es sich um ein sehr schwieriges und schwerwiegendes Problem zu handeln. Eine solches Problem aufzuarbeiten ist extrem komplex und in manchen Fällen auch nicht zu lösen. Wir hatten vor 2 Jahren einen ähnlichen Fall, vom Verlauf her soweit ich das beurteilen kann, fast identisch, außer dass bei unserem Fall der Hund innerhalb von Minuten die Atmung einstellte und nur über die künstliche Beatmung am Leben gehalten werden konnte. Trotz aller Untersuchungen (Labor, Röntgen, Ultraschall, EKG, CT usw.) konnten wir keine Ursache finden. Nach 18 Stunden haben wir die Beatmung abgestellt und der Hund starb. Die komplette pathologische Untersuchung an der Uni brachte ebenfalls keine Befunde. Die Ursache blieb unklar.
Wie man ein solches Problem letztlich aufarbeitet ist eine individuelle Sache. In Ihrem Fall: Koma, klinische Untersuchung, Farbe der Schleimhaut, Herz-Kreislauf, Puls, Venenkatheter, Standardlabor dann Röntgen Brustkorb und Bauch, je nach Befunden EKG und weitere Untersuchungen wie Ultraschall Herz, Bauch, Anämie: hier ist es schwierig, die Ursache schnell zu finden. Man sollte auf jeden Fall ausschließend, dass eine Blutung ins Körperinnere vorliegt, z.B. von der Milz ausgehend (Ultraschall), dann sollten die Retikulozyten (Vorläuferzellen der roten Blutkörpchen) bestimmt werden -> ist die Anämie regenerativ oder nicht. Anhand dieses Ergebnisse richten sich die weiteren differenzialdiagnostischen Erkrankungen. Was das Koma angeht, war ihr Hund noch ansprechbar, oder hat er auf massive Reize (z.B. Kneifen in die Pfoten) noch reagiert. Wie waren die Reflexe (Kopfnerven, spinale Reflexe). Eine Anämie kann zu einem Komazustand führen, muss dann aber schon extrem ausgeprägt sein. Sonst kommt so ein Symptom häufig vom Gehirn. Infusion ist anfänglich immer sinnvoll, muss aber der Situation angepasst sein. Bei einem kreislaufbedingten Schockzustand ist eine schnelle Infusion indiziert, bei einem Hirnödem z.B. nach einem Autounfall führt eine schnelle Infusion dazu, dass der Patient 2 h nach der Infusion wieder steht und normal erscheint und weitere 2 h später meist tot ist. Also muss die Menge der Situation angepasst und im Verlauf der Entwicklung des Patienten angepasst werden. Eine Hyperglykämie kann stressbedingt sein oder eine metabolische Entgleisung darstellen. Auch hier ist die Grundursache wichtig für eine Behandlung. Je nach Höhe des Zuckers folgt als nächstes einen Urinuntersuchung. Ob eine Entwässerung der Infusion vorzuziehen gewesen wäre, hätte man von dem Abhören des Hundes und dem Röntgenbild des Brustkorbes abhängig machen müssen. Ein Cushing kann zu einer Hyperglykämie führen. Auch Bauchspeicheldrüsenentzündung wäre denkbar. Die Hyperglykämie kann durch die hemmende Wirkung des Kortisonüberhanges auf das Insulin stattfinden. Allerdings führt ein Cushing eher zu chronischen Problemen wie vermehrtes Trinken, massiver Appetit, Stammfettsucht, dünnes, schütteres Haarkleid, dünne Haut usw. Zentralnervöse Probleme treten nur auf, wenn es sich um ein Makroadenom der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) handelt, der Druck auf das Gehirn ausübt. Diese Symptome kommen meist schleichend und laufen über mehrere Tage progressiv. Ein Schock mit Bewustseinsverlust und eine Anämie könnte auftreten, wenn die Grundursache des Cushings ein bösartiger (maligner) Tumor der Nebenniere wäre, der in eines der großen Körpergefäße einwächst und dieses reisst und der Patient dann akut in den Bauch blutet (deswegen auch Ultraschall Bauch). Beim Cushing reißt der Kortisonspiegel nicht abrupt ab. Sollte der Kortisonspiegel ohne Cushing plötzlich fallen, könnte es zu einer Addion-Krise kommen. Allerdings wäre das dann beim EKG (häufig Veränderungen des EKG´s auf Grund des hohen Kaliums) und bei den Blutwerten vermutlich aufgefallen, Harnstoff und Creatinin häufig erhöht, erhöhtes Kalium, oder Fehler im Natrium-Kalium Verhältnis. Ein abruptes Absetzen vom Kortison kann theoretisch ähnliche Folgen haben, allerdings habe ich es noch nie erlebt, auch wenn es in allen Büchern so beschrieben ist. Dies sind nur einige Gedanken, die in einem solchen Fall in dem Kopf einen Tierarztes ablaufen. All diese Aktionen sollten möglichst gleichzeitig stattfinden. Neben den Einrichtungen dafür ist es auch eine Frage des Zeitpunktes, zu dem man einen solchen Patient in die Finger bekommt. Schnelle Labor und Röntgenbefunde sind in einem solchen Fall essentiell, um den Problemkreis einzuschränken und die Therapie der Situation anzupassen. Häufig merkt man als Patienten Besitzer gar nicht, was und wie eigentlich untersucht wird. Sieht häufig so aus, als würde man den Hund nur etwas streicheln, was man aber dabei an Informationen erhält ist zum Teil unglaublich. Und für den Hund sollte bei einer normalen Untersuchung im Wachzustand auch kein anderes Gefühl als „Streicheln“ dabei aufkommen, sonst werden die meisten Patienten das nicht gut finden. Die Vitalfunktionen werden hauptsächliche geprüft: Augen, Lidreflex, Größe der Pupillen, Abhören des Herzens, Puls, Bewusstseinszustand.
Es sei nochmals ausdrückt angemerkt, dass auch mit allem Können und den entsprechenden technischen Voraussetzungen es häufig trotzdem nicht gelingt, ein solches Problem zu klären und vor allem, selbst wenn es sich klären lässt, zu kontrollieren oder gar komplett zu beseitigen.
Ich hoffe diese Informationen geben Ihnen in ein paar Fragen eine Antwort. Leider lässt sich der Ablauf bei einem solchen Fall nicht vorherschreiben, da das Vorgehen von vielen, vielen Faktoren und vor allem von der Entwicklung unter der anfänglichen Therapie abhängt.
Mit freundlichen Grüßen, M.Lewitschek