Antwort von Tierärztin Janina Rohde
Hallo Herr M.
Eine ausgeprägte, seit Jahren bestehende Angst bei Katzen ist in vielen Fällen nicht allein durch Gewöhnung oder Management zu verbessern. Wenn eine Katze bereits auf alltägliche Reize wie Kleidungsstücke, Geräusche oder Annäherung der eigenen Bezugspersonen mit Flucht reagiert und Tierarztbesuche kaum noch möglich sind, spricht man verhaltensmedizinisch von einer generalisierten Angstproblematik. Katzen, die über lange Zeit auf diesem hohen Stresslevel leben, entwickeln häufiger sekundäre Erkrankungen wie chronische Atemwegsprobleme, Harnwegserkrankungen oder Hauterkrankungen. In solchen Fällen kann eine medizinisch unterstützte Therapie sinnvoll sein, damit überhaupt erst trainierbare Zustände entstehen. Fluoxetin ist für Katzen ein gut untersuchtes, zugelassenes Medikament (in Form von Fluoxevet oder Reconcile), das speziell für Angststörungen, Stress-assoziierte Verhaltensprobleme und Problematiken wie übermäßige soziale Unsicherheit eingesetzt wird. Die Dosierung bei Katzen ist deutlich niedriger als beim Menschen, die Wirkung setzt langsam ein, und sowohl das Einschleichen als auch das Ausschleichen erfolgen unter tierärztlicher Kontrolle. Anders als viele Menschen befürchten, sind die Nebenwirkungen bei Katzen meist mild und vorübergehend; schwere unerwünschte Wirkungen sind selten, wenn das Medikament korrekt dosiert wird. Entscheidend ist jedoch, dass Psychopharmaka nicht als alleinige Lösung gedacht sind. Sie ermöglichen eine Senkung des Grundstresspegels, damit Training überhaupt lernwirksam wird. Das Training bleibt der wichtigste Teil: gezielte Desensibilisierung an Box, Tierarzt und Alltagssituationen, Unterstützung durch ruhiges Markertraining, strukturierte positive Verstärkung und klare Sicherheitsroutinen. Eine verhaltenstherapeutische Begleitung ist dafür sehr hilfreich. Spezialisierte Tierärztinnen und Tierärzte für Verhaltenstherapie finden Sie über den GTVMT; viele bieten auch Online-Beratungen an, um den Stress für sehr ängstliche Katzen gering zu halten. Zusätzlich könnte an eine Prämedikation vor einem nötigen Tierarztbesuch gedacht werden (Bonqat 0,1 ml/Kg 2 Stunden vor dem TRansport). Ob Fluoxetin ein Versuch wert ist, hängt vom Leidensdruck der Katze und der realistischen Trainierbarkeit ohne medikamentöse Unterstützung ab. Bei einer 9-jährigen Katze, die seit Jahren extrem ängstlich ist und nun auch gegenüber den eigenen Bezugspersonen meidet sowie körperlich unter Stressfolgen leidet, ist der Einsatz eines gut verträglichen Medikaments wie Fluoxetin durchaus ein sinnvoller und wissenschaftlich begründeter Ansatz. Das Ziel ist nicht, sie „ruhigzustellen“, sondern ihr Nervensystem so zu stabilisieren, dass sie überhaupt wieder lernfähig wird, Vertrauen aufbauen kann und medizinische Versorgung stressärmer möglich ist.
Viele Grüße
Janina Rohde