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Ein Gastbeitrag von Janina Rohde, Tierärztin mit Schwerpunkt Tierverhalten
Ein Hund am Arbeitsplatz kann für viele ein Gewinn sein – emotionale Nähe, soziale Auflockerung und ein freundlicheres Miteinander sind nur einige der positiven Effekte, die einem tierischen Kollegen zugeschrieben werden. Doch damit das Zusammenspiel gelingt, braucht es mehr als gute Absichten. Ein Bürohund ist kein Selbstläufer. Damit alle Beteiligten – Mensch wie Tier – von der Situation profitieren, ist eine durchdachte Vorbereitung unerlässlich und ggf. ein wenig Training nötig.
Zunächst gilt es ehrlich einzuschätzen, ob das jeweilige Tier überhaupt vom Alltag in einer Arbeitsumgebung profitieren kann. Nicht jeder Hund fühlt sich in einem Raum mit ständig wechselnden Reizen wohl. Faktoren wie genetische Disposition, frühe Erfahrungen, Epigenetik, Prägung und die aktuelle Lebenssituation bestimmen mit, ob ein Hund Reize gut verarbeitet, Ruhe findet und sich in sozialen Situationen angemessen verhält. Genauso wichtig ist die räumliche Struktur des Arbeitsplatzes selbst: Ein Einzelbüro mit wenig Publikumsverkehr stellt völlig andere Anforderungen als ein hektisches Großraumbüro mit ständigem Kommen und Gehen. Für die Einschätzung, ob und wie ein Hund in diese Umgebung passt, kann die Begleitung durch eine erfahrene, positiv arbeitende Fachperson aus der Verhaltensmedizin oder dem modernen Hundetraining sehr hilfreich sein.
Bevor ein Hund das erste Mal in den regulären Büroalltag integriert wird, sollte er die Möglichkeit haben, die neue Umgebung in Ruhe kennenzulernen – ohne Zeitdruck, ohne zu viele Reize. Ein erstes Kennenlernen am Wochenende oder außerhalb der Arbeitszeiten schafft einen sicheren Rahmen, in dem das Tier den Raum erkunden, Gerüche aufnehmen und Geräusche verarbeiten kann, ohne dass gleichzeitig Telefone klingeln oder Menschen an ihm vorbeilaufen. Wer mit einem solchen „Soft Opening“ beginnt, nimmt dem Hund die Unsicherheit – und senkt das Risiko, dass unangemessene Verhaltensmuster durch Überforderung entstehen.
Damit ein Hund sich sicher fühlt, braucht er in erster Linie Orientierung – durch eine klare, verlässliche Bezugsperson, durch nachvollziehbare Abläufe und durch einen Rückzugsort, der wirklich Schutz bietet. Ob dies eine Decke, ein Körbchen, eine offene Box oder eine mit Sichtschutz abgegrenzte Fläche ist, hängt vom individuellen Tier ab. Wichtig ist: Der Ruheplatz darf nicht im Zentrum des Geschehens liegen. Abstand zu Laufwegen, Türen oder Lärmquellen fördert echte Erholung und beugt unerwünschtem Kontrollverhalten vor.
Auch im Verhalten braucht es Klarheit. Ein Hund, der im Büro zur Ruhe kommen soll, sollte vorher die Möglichkeit gehabt haben, sich körperlich und geistig auszulasten – nicht überdreht, aber wach und zufrieden. Ein kurzer Spaziergang, eine gezielte Schnüffelaufgabe oder eine kleine Apportierübung genügen oft. Wesentlich ist, dass der Hund danach bereit ist, sich auf eine ruhigere Phase einzulassen. Wer Höflichkeit erwartet, muss erst einmal Entlastung ermöglichen.
Höflichkeitstraining für Büroschnauzen
Im Arbeitsalltag sind bestimmte Verhaltensweisen besonders wertvoll – nicht, weil sie spektakulär sind, sondern weil sie dem Hund ermöglichen, sich angemessen zu verhalten, ohne unter Druck zu geraten. Ein verlässlich aufgebautes „Platz“-Signal gehört dazu. Es sollte so trainiert worden sein, dass der Hund es auch in Anwesenheit von Kolleg:innen, Geräuschen oder Bewegungen halten kann. Ebenso hilfreich ist ein konditioniertes Entspannungssignal – etwa ein bestimmtes Wort, das mit Ruhe und Wohlbefinden verknüpft wurde. Es kann helfen, in aufregenden Momenten wieder zur Ruhe zu finden, ohne körperlich eingreifen zu müssen.
Auch das gemeinsame Gehen durch das Büro will gelernt sein. Ein Hund, der locker an der Leine neben seiner Bezugsperson bleibt, kann sich besser an ihr orientieren und wird seltener zu impulsivem Verhalten verleitet. Das bedeutet: Auf dem Weg zur Teeküche, ins Meeting oder zum Fahrstuhl bleibt der Hund in Verbindung – sozial wie räumlich.
Ein häufig unterschätzter Punkt im Büroalltag ist der Erwartungsdruck durch gut gemeinte, aber unstrukturierte soziale Interaktionen. Wenn jeder Kollege beim Hereinkommen ein Leckerchen zückt, entsteht beim Hund schnell die Erwartung, dass jede Türbewegung eine Belohnung nach sich zieht. Je nach Typ kann das zu starker Erregung, Frustration oder sogar territorialem Verhalten führen. Daher ist es oft sinnvoller, wenn alle Belohnungen gezielt über die Bezugsperson laufen. So bleibt die Erwartung klar: Mein Mensch gibt mir Rückmeldung – nicht jede zufällige Begegnung.
Ein besonders hilfreiches Konzept in sozialen Situationen ist das sogenannte „Default Behavior“. Gemeint ist ein Verhalten, das der Hund bevorzugt zeigt, wenn er sich in einer unklaren Situation befindet, ohne dass ein konkretes Signal oder eine Aufforderung durch den Menschen vorliegt. Aus lerntheoretischer Sicht handelt es sich dabei um ein durch wiederholte positive Verstärkung etabliertes, freiwillig gezeigtes Verhalten, das sich für das Tier regelmäßig gelohnt hat. Es wird so zur bevorzugten Handlungsstrategie in Momenten, in denen der Hund selbst entscheidet, wie er sich verhalten möchte – etwa wenn jemand den Raum betritt oder ein anderer Hund vorbeigeht. Typische Default Behavior im Büroalltag können ein ruhiges Sitzen, Blickkontakt zur Bezugsperson oder das bewusste Abwenden vom Reiz sein. Diese Verhaltensweisen entstehen nicht durch eine „Korrektur“ von unerwünschtem Verhalten, sondern durch bewusste Förderung von erwünschtem Verhalten und sicheren Rahmenbedingungen, sie helfen unserem Tier, mit sozialem Druck oder situativer Unsicherheit souverän umzugehen.
Selbstverständlich verläuft auch beim besten Aufbau nicht jeder Tag ideal. Rückschritte gehören dazu – neue Kolleg:innen, veränderte Bürosituation oder gesundheitliche Veränderungen können dazu führen, dass ein zuvor souveräner Hund unsicher oder überdreht reagiert. Das ist kein Scheitern, sondern Teil eines lebendigen Lernprozesses. Entscheidend ist, dies rechtzeitig zu erkennen, flexibel zu bleiben und bei Bedarf professionelle Begleitung hinzuzuziehen.
Ein Hund im Büro ist kein stiller Begleiter, sondern ein soziales Wesen mit Bedürfnissen, Emotionen und eigener Perspektive. Wer ihn ernst nimmt, seinen Alltag vorausschauend plant, höfliches Verhalten positiv verstärkt und den Fokus auf Sicherheit und Orientierung