Einblick in den Adoptionsalltag eines Tierheims

Das sollten Sie über die Adoption eines Tieres aus dem Tierheim wissen

© TASSO e.V.
Heike Weber, Leiterin Tierschutz bei TASSO

Wie läuft eine Adoption im Tierheim eigentlich ab? Und wie finden Tierheime die passenden Menschen für ihre Schützlinge? Diese und andere Fragen rund um die Adoption haben wir Heike Weber gestellt. Sie hat als Tierheimleitung in verschiedenen Tierheimen gearbeitet und teilt mit uns ihre Erfahrungen aus dem Adoptionsalltag eines Tierheims.

TASSO: Warum sollte ein Tier aus dem Tierschutz die erste Wahl sein, wenn sich jemand für ein tierisches Familienmitglied entscheidet?

Heike Weber: In deutschen Tierheimen warten unendlich viele Tiere auf ein neues Zuhause. Der große Teil davon ist völlig unverschuldet im Tierheim gelandet, weil sich beispielsweise die Lebensumstände der Menschen geändert haben. Trennungen, Wohnungs- oder Jobwechsel sind die häufigsten Abgabegründe. Diese Tiere müssen gesehen werden und verdienen einfach eine zweite Chance.

Unsere Community berichtet immer wieder von negativen Erlebnissen bei der Adoption eines Tieres aus dem Tierheim. Kannst du das nachvollziehen?

Na klar ist das nachvollziehbar. Da ist viel Frust und Enttäuschung entstanden, was unheimlich schade ist. Die Vermittlung im Tierheim ist eine Gratwanderung zwischen den Wünschen, die man selbst für das Tier hat, den faktischen Anforderungen an das neue Zuhause, die für das Tier für ein artgerechtes Leben einfach erfüllt sein müssen und den Wünschen und Erwartungen der Interessenten. Da muss man als vermittelnde Person sehr reflektiert und bewusst sein, ob man z. B. seine eigenen Vorstellungen von einer guten Tierhaltung durchsetzen möchte oder ob die geforderten Rahmenbedingungen für das Tier die gleiche Bedeutung haben wie für einen selbst. Die Grenzen verschwimmen hier miteinander und jede Vermittlung ist einfach ganz individuell zu betrachten. Ein richtig oder falsch gibt es in dem Sinne nicht, es sind ja jeweils subjektive Einschätzungen und Entscheidungen. Hier ist aus meiner Sicht ein achtsamer und respektvoller Umgang miteinander ganz besonders wichtig – und zwar von beiden Seiten. 

Was meinst Du genau damit?

Beide Seiten sollten offen für den Dialog sein und sich wirklich darauf einlassen. Vorgefertigte Meinungen sind an der Stelle eher kontraproduktiv. Denn in erster Linie geht es immer darum, für ein Tier ein gutes neues Zuhause zu finden.

Wir haben ganz oft die Rückmeldung erhalten, dass Interessenten aufgrund ihres Alters kein Tier bekommen haben. Was sagst Du dazu?

Man kann das einfach nicht pauschalisieren, sondern muss den Menschen und das Tier individuell betrachten und wie immer ehrlich mit sich selbst und im Vermittlungsgespräch miteinander sein. Gerade Senioren sind in einem wunderbaren Lebensabschnitt, in dem sie meist hinsichtlich ihrer Wohn- und finanziellen Situation gefestigt sind und auch Zeit für das Tier haben. Wie bei jeder anderen Vermittlung muss man einfach klären, ob man als Halter:in dem Tier gerecht werden kann. Wichtig ist, dass man ein funktionierendes Netzwerk hat und das Tier versorgt ist, sollte einem selbst etwas passieren – was für mich völlig unabhängig vom Alter ist. 

Häufig kommt dann auch z. B. die Aussage „im Tierheim gibt's ja nur alte Mischlinge, ich will aber einen Rassewelpen“ – inwieweit stimmt das?

Das stimmt nur bedingt. Auch im Tierheim landen immer wieder Rassetiere und paradoxerweise müssen gerade diese oft besonders lange auf eine Vermittlung warten, weil Interessierte sie dort nicht vermuten. Für mich ergibt sich an dieser Stelle noch eine andere Frage, nämlich warum man auf eine bestimmte Rasse oder einen Welpen festgelegt ist? Viele potentielle Tierhalter und Tierhalterinnen knüpfen an eine Rasse oder einen Welpen bestimmte Erwartungen und man muss für sich selbst einfach ganz genau hinschauen, ob das Tier diese Erwartungen überhaupt erfüllen kann. Möglicherweise ist ja der Mischling aus dem Tierheim, der altersmäßig schon aus dem Gröbsten raus ist, genau der richtige Hund, den man ansonsten verpassen würde.

Es sind auch immer wieder Vorurteile im Umlauf, dass Tiere aus dem Tierschutz traumatisiert, schwer erziehbar sind etc. Inwiefern stimmt das bzw. kannst du diese Ängste nehmen?

Ja, diese Vorurteile halten sich hartnäckig und gerade durch die Entwicklungen der letzten Zeit – ich denke da an die Überschwemmung der Tierheime durch die Abgabe von während der Corona-Pandemie angeschafften Tieren– sehen sich viele Interessierte darin auch noch mal bestätigt. Natürlich findet man im Tierheim Tiere, die wegen Verhaltensauffälligkeiten abgegeben werden mussten. Doch auch da muss man einfach genauer hinsehen, denn manchmal sind diese Auffälligkeiten nichts anderes als rassetypisches Normalverhalten. Wer einen hochaktiven Hütehund in seiner Familie aufnimmt und nicht für ausreichende körperliche wie mentale Auslastung sorgt, darf sich nicht wundern, wenn sich der Hund dann eigenständig eine Aufgabe sucht – was für die Menschen selten eine schöne Lösung ist.

Natürlich bedeutet ein Umgebungswechsel und der Verlust seiner Bezugspersonen oder tierischen Freunde immer Stress für ein Tier – ganz egal ob es vom Züchter oder aus einem Tierheim kommt. Deswegen finde ich bei dem Punkt noch mal ganz wichtig zu betonen, dass sich die Halter und Halterinnen wirklich im Klaren darüber sind, was es heißt, ein Tier in seinem Leben willkommen zu heißen. Denn die Anfangszeit ist eine Herausforderung. Hier heißt es als Halter:in mit und für sein Tier die Balance zu finden zwischen klarer Kommunikation, Bindungsaufbau, ein stabiler verlässlicher Partner zu sein aber auch dem Tier den Raum zu geben und zu lassen, den es zum Ankommen braucht.

Wie ist der Prozess bei einer Adoption aus dem Tierschutz bzw. wie sollte dieser optimal sein? Kann man einfach ins Tierheim kommen und sich die Tiere „anschauen“?

Jedes Tierheim organisiert sich da ein wenig anders und wer sich mit dem Gedanken befasst, einem Tier aus dem Tierschutz ein Zuhause zu geben, sollte sich einfach beim nächstgelegenen Tierheim direkt erkundigen.

In der Regel gibt es Öffnungszeiten, zu denen man unverbindlich vorbeikommen kann. Inwieweit man in die Unterkünfte der Tiere darf, entscheidet jedes Tierheim individuell. Ich persönlich empfand es zu meiner Zeit als Tierheimleitung enorm stressig für alle Beteiligten – vor allem natürlich für die Tiere – wenn die Besucher:innen auch in die Tierunterkünfte durften. Effizienter und zielführender habe ich die Vermittlungen erlebt, wenn man bereits im Vorfeld ein erstes Gespräch mit den Interessierten geführt hat und so schon einen ersten Eindruck von den Erwartungen und Wünschen bekommen konnte. Dann kann man gemeinsam überlegen, ob ein passendes Tier im Tierheim wartet und wenn ja, ganz gezielt einen Kennenlerntermin ausmachen, zu dem dann Mensch und Tier jede Menge Zeit haben und sich ohne Stress kennenlernen können. Natürlich kann ich auch die Seite der Interessierten verstehen, die ein Tier sehen möchten und sich dann von ihrem Impuls leiten lassen. Emotionen sind wichtig und letztendlich sicher auch entscheidend. Doch sind Tiere einfach keine Impulskäufe und bei aller Emotion darf man den Verstand nicht ausschalten. Das Tier muss auch in die Lebensumstände der Interessierten passen und diese müssen passend für das Tier sein.

Wie lange dauert es im Durchschnitt von „Ich habe ein Tier gefunden“ bis „das Tier zieht bei mir ein“?

Auch diesbezüglich hat jedes Tierheim seine eigenen Kriterien und seinen eigenen Ablauf. Doch mit Sicherheit kann ich sagen, dass man ein wenig Zeit für die Kennenlernphase einplanen sollte. Tier und Interessent:in müssen sich kennenlernen und auch die Tierheimmitarbeiter:innen müssen sich ein Bild von den Interessierten machen können. Wie lange diese Phase dauert, hängt ganz individuell von Tier und Menschen ab. Ich habe Vermittlungen begleitet, die sich über sechs Monate gestreckt haben und jeder Tag dieser Zeit war wichtig und es war genau richtig, so lange zu warten. Auf der anderen Seite hatten wir auch Vermittlungen bei denen es nach wenigen Kennenlernterminen zu einem Umzug kommen konnte. Bei Hunde- und Katzenvermittlungen war uns wichtig, dass Tier und Mensch sich gut kennenlernen konnten und idealerweise schon eine leichte Bindung zueinander aufgebaut haben.

Nach welchen Kriterien wird der ideale Halter bzw. die Halterin ausgewählt, vor allem wenn es mehrere passende Interessierte gibt?

Puh … also das ist wirklich schwierig zu pauschalisieren. Grundsätzlich geht es immer darum, dass Mensch und Tier zusammenpassen und natürlich auch die Rahmenbedingungen stimmen. Ein Herdenschutzhund sollte nicht unbedingt im 4. Stock mitten in der Stadt wohnen. Wobei ein Haus mit Garten auch nicht per se eine gute Hundehaltung ausmacht. Jedes Tier ist so individuell wie die Menschen, die ins Tierheim kommen und nach einem neuen Begleiter suchen. Es gilt einfach herauszufinden, wer gut zusammenpasst. Ein sportlich aktiver Mensch möchte vielleicht eher einen Hund an seiner Seite, der ebenfalls gerne aktiv ist. Eine Katzeninteressentin verliebt sich in einen halbwilden Freigänger, bräuchte aber eher zwei ruhige Wohnungskatzen, weil sie berufstätig ist und in der Stadt lebt, wo nur ein katzensicherer Balkon zur Verfügung steht. Grundsätzlich sucht man nach Menschen, die viele Komponenten erfüllen, die das Tier für ein gutes Leben braucht. Die letztliche Entscheidung trifft aber eigentlich das Tier. 

Warum sind Tierheime so streng bei der Auswahl der Halter:innen? Es gibt hin und wieder Erzählungen, dass man ein geeignet sei und alles stimmt, man aber doch nicht ausgewählt wurde und das Tier dann weiterhin im Tierheim bleibt.

Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass der gesamte Vermittlungsprozess ehrlich, offen und authentisch geführt wird – und zwar von beiden Seiten. Zweifel müssen und sollen offen angesprochen werden und auch ich habe mich schon gegen Vermittlungen entschieden, bei denen augenscheinlich alles gepasst hat. Das muss man offen und ehrlich und frühestmöglich kommunizieren. Natürlich ist es nicht schön, wenn man abgelehnt wird, das kann ich auch total nachvollziehen. Doch darf man nie vergessen, dass man über das Leben eines Tieres entscheidet und dieses Tier von unseren Entscheidungen – also von Seiten des Tierheims und der potentiellen Halter:innen – vollends abhängig ist. Das ist eine enorme Verantwortung, der man sich zu jeder Zeit bewusst sein muss. Wenn ich bei einer Vermittlung Zweifel hatte, habe ich diese offen angesprochen, auch wenn das sicher weder für die Interessierten noch für mich immer eine schöne Situation war. Aber sie war oft notwendig. Und ich möchte an dieser Stelle auch die Interessierten mitnehmen in die Welt der Tierheimmitarbeiter:innen. Diese sorgen für ein Tier, das aus seiner Familie, seinem gewohnten Umfeld gerissen wurde. Die Pfleger:innen fangen es auf, stehen ihm zur Seite, schenken ihm Trost, wenn es vor Verzweiflung bellt und weint oder sich in den Schlaf zittert. Oder sie bringen ihm bei, wie man sich Menschen und/oder Tieren gegenüber adäquat verhält. Sie werden Bezugsperson Nummer eins und machen mit „ihren“ Tieren einiges mit. Es ist unmöglich, da keine emotionale Bindung entstehen zu lassen und es ist einfach so, dass man bei der Vermittlung genau hinschaut. Man möchte auf jeden Fall ein Zuhause, in dem das Tier geliebt und umsorgt wird und einen Platz für immer findet. Auch wenn man sich als Tierheimmitarbeiter:in noch so sehr bemüht, die Emotionen hat man bei jeder Vermittlung mit im Gepäck.

Hast du Tipps für Interessierte/Adoptanten, wie sie sich auf ein Gespräch im Tierheim vorbereiten können?

Tipps weniger, eher Wünsche. Ich wünsche mir, dass sich Interessierte im Vorfeld darüber Gedanken machen, warum sie einem Tier ein Zuhause geben möchten, welche Erwartungen sie an das Tier haben, welche Erwartungen das Tier an sie hat und welche davon sie erfüllen können und wollen. Wir haben bei TASSO im Rahmen unserer Aufklärung für eine verantwortungsvolle Tierhaltung eine Checkliste erstellt mit vielen Fragen, die sich potentielle Tierhalter:innen stellen sollten, bevor sie sich auf die Suche nach „ihrem“ Tier machen. Als Tierheim freut man sich über Interessierte, die klar sind und sich ihrer Verantwortung vollends bewusst sind, die sich darüber informiert haben, was auf sie zukommt. Und – die offen sind, offen für den Prozess der Vermittlung und sich mit Vertrauen von den Mitarbeitenden des Tierheims beraten lassen. 

Es heißt, dass die deutschen Tierheime voll und überlastet sind. Warum ist das so und welche Tiere warten dort so lange?

Ja, aktuell überschlagen sich die Katastrophenmeldungen hinsichtlich überfüllter Tierheime. Die Kolleg:innen wissen nicht mehr, wie sie die Flut an Abgabetieren und Sicherstellungen noch bewältigen sollen. Für mich ist die aktuelle Situation das Ergebnis aus unüberlegt angeschafften Tieren während der Corona-Pandemie gepaart mit fehlendem Verantwortungsbewusstsein. Sicherlich kamen in den letzten Monaten in Folge der Inflation auch einige Tiere dazu, die aus finanzieller Notlage nicht mehr bei ihren Familien bleiben konnten.

Am längsten warten meist tatsächlich ältere Tiere auf ihre neue Familie oder auch Tiere mit einer chronischen Erkrankung oder solche, die mit besonders stark ausgeprägtem rassetypischem Verhalten nicht ins Erwartungsschema vieler Interessierter passen.

Es ist in der Regel schon eher so, dass Interessierte gezielt nach jüngeren Tieren suchen, die sich ihrer Meinung nach problemlos in den Alltag integrieren lassen. Jedes Tier bringt eine neue Dynamik ins Leben, die Veränderungen von den Menschen erfordert. Junge Tiere meist sogar noch mehr, weil ihre Versorgung und Erziehung wesentlich zeitintensiver ist. Und ob sich ein Tier in den Alltag einfügt, hängt natürlich entscheidend vom Halter oder von der Halterin selbst ab. Ich möchte allen Interessierten gerade die älteren Tiere in Tierheimen ans Herz legen. Viele denken, ein bereits erwachsenes Tier baut vielleicht keine so innige Bindung auf oder hat auch schon Eigenarten entwickelt, mit denen man vielleicht nicht so gut umgehen kann oder will. Meine Erfahrung ist eine andere. Erwachsene Tiere sind oft souveräner und meist etwas ruhiger, sie haben die Sturm und Drang Zeit schon hinter sich. Manchmal braucht es vielleicht ein wenig mehr Anstrengung, bis man ein erwachsenes Tier „geknackt“ hat – doch wenn einem dieses Tier sein Herz schenkt, das ist einfach unbezahlbar. 

Über Heike Weber, Tierschutz-Expertin bei TASSO:
Heike Weber ist bereits seit fast 30 Jahren im Tierschutz aktiv und hat unter anderem als Tierheimleitung in verschiedenen Tierheimen gearbeitet. Ihr Schwerpunkt liegt in der praktischen Tierschutzarbeit sowie der Aufklärung von Tierhaltern zum Thema Verantwortungsvolle Tierhaltung.


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