„Trauer darf so lange bleiben, wie sie gebraucht wird“

Interview mit Tiertrauer-Expertin Cordelia Noe

Hundefoto und Katzenfoto auf Wohnzimmertisch. © TASSO e.V./KI generiert

Trauer und Abschied – Das sind Themen, bei denen der Impuls groß ist, einfach weiterzublättern, zu scrollen oder zu swipen. Aber leider werden wir früher oder später alle mit diesen Themen konfrontiert. Trauer ist wichtig und sobald wir Gedanken daran zulassen, verliert das Thema etwas an Schwere. Wie man lernen kann, mit der Trauer um sein verstorbenes Tier umzugehen und wieso es Menschen gibt, die andere dabei als Trauerbegleiterin unterstützen, das erzählt uns Cordelia Noe, Gründerin von „Ciao Miao“, einer Plattform für moderne Tiertrauer.

Hallo Cordelia, du hast ursprünglich eine Ausbildung in Organisationspsychologie und Sozialwissenschaften absolviert, dann in der Kunstbranche gearbeitet und bist schließlich Trauerbegleiterin geworden. Wieso hast du dich schließlich für das Thema Trauer interessiert und dann Ciao Miao gegründet?

Ich habe mich schon immer für Übergänge im Leben interessiert – sowohl für den Beginn, also die Geburt als auch für das Thema Abschied. Als Kind habe ich mit meiner besten Freundin nach der Schule eine Zeit lang tote Käfer und Würmer beerdigt – mit viel Ernsthaftigkeit, Skateboard als Transportmittel und Klobürste als Weihwassersprenger. Hebamme werden wollte ich zwischendrin auch mal, aber dann hat mein Umzug nach Asien alles auf den Kopf gestellt. Nach dem Studium bin ich dann mit meinem jetzigen Mann direkt nach China gezogen und dort eher zufällig in der Kunstwelt gelandet. Auch in dem Bereich ging es mir immer darum, scheinbar geschlossene Systeme – wie den elitären Kunstmarkt – zugänglicher zu machen. Und das ist im Grunde auch der Kern von Ciao Miao: Trauer eine andere Verpackung zu geben, die Angst zu nehmen und das Thema überhaupt zu öffnen. Ein zusätzlicher Impuls kam, als ich selbst einen Hund verlor. Im selben Jahr wie meinen Vater. Die Wucht dieses Verlustes, auch wenn er schon lange zurück liegt, hat mich überrascht – und noch mehr die Tatsache, wie wenig Raum es gesellschaftlich für Tiertrauer gibt. Dabei ist die Bindung zu einem Tier oft tief, bedingungslos und hoch emotional. Ciao Miao ist mein Versuch, genau diesen Raum zu schaffen: einen geschützten Ort für ehrliche Gefühle. Für betroffene Tierhalter aber auch im Bereich Wissensvermittlung für Tierärzte & Praxisteams, sowie für HR Abteilungen, die sich im Rahmen von New Work auch damit auseinandersetzen sollten, wie man mit einem trauernden Kollegen am besten umgeht und v. a. wie nicht.

Die Trauer beim Verlust des eigenen Heimtieres ist manchmal schwer auszuhalten. Wie gehen Menschen mit diesem Verlust um und wie unterschiedlich kann Trauer aussehen?

Trauer ist extrem individuell. Manche Menschen spüren einen direkten emotionalen Einbruch, andere funktionieren zunächst „normal“ weiter – bis die Trauer sie verzögert einholt. Andere können über den Kanal der Vernunft recht gut damit umgehen und den Verlust annehmen, weil sie vielleicht schon länger „vorgetrauert” haben. Trauer kann sich in Tränen, aber auch in Schlaflosigkeit, Rückzug oder anderen körperlichen Symptomen zeigen. Was oft übersehen wird: Die Bindung zu einem Tier ist tief und bedingungslos. Fast niemand liebt uns so loyal. Wenn dieses Band reißt, kann sich das wie ein innerer Zerfall anfühlen – gerade, wenn diese Trauer im Umfeld nicht ernst genommen wird und man sich mit dem Schmerz alleine fühlt. Und auch viele gemeinsame Rituale wie das Gassi gehen, reißen eine Lücke in den Tagesablauf, weil sie von heute auf morgen enden.

Wie lange dauert so ein Trauerprozess?

Es gibt überhaupt keine festgelegte Dauer. Trauer folgt keiner linearen Timeline. Sie kann in Wellen kommen – mal überwältigend, mal kaum spürbar. Viele Menschen fühlen sich nach einigen Wochen „funktionstüchtig“, tragen aber die Trauer noch Monate oder sogar Jahre mit sich. Ich hatte mal eine Patientin, die sich nach 9 Jahren noch immer von der Trauer um ihre Hündin isoliert gefühlt hat, sodass sie entschieden hat, sich helfen zu lassen. Wichtig ist: Die Dauer sagt nichts über die Stärke oder Richtigkeit der Gefühle aus. Trauer darf so lange bleiben, wie sie gebraucht wird. Und auch wenn jemand nicht weint, ist das überhaupt kein Indiz, wie sehr der Verlust an ihm rüttelt.

Du als Trauerbegleiterin bietest Seelsorge, Coachings und Webinare an. Wie kannst du Tierhalter:innen am besten helfen und sie beim Verlust eines geliebten Tieres begleiten?

Zuhören ist das Wichtigste – wirklich präsent sein, ohne zu bewerten oder „trösten“ zu wollen. Und schon gar nicht gleich von einem neuen Tier sprechen, wie es das Umfeld manchmal aus Unsicherheit tut. Ich unterstütze Menschen darin, ihre ganz eigene Sprache für den Verlust zu finden, Rituale zu gestalten, ihnen aufzuzeigen, dass auch ganz viel von ihrem Tier bleiben darf und manchmal sich auch nur bestätigt zu fühlen, dass sie mit der Trauer um ihr Tier nicht alleine sind. Aus diesem Aspekt sind auch Gruppenformate total hilfreich, denn man sieht, dass andere ganz ähnlich betroffen sind. Oft suchen Tierhalter: innen den Kontakt auch schon nach einer schweren Diagnose oder wenn das Tier gebrechlich wird und sie wissen, dass der Abschied naht. Dann unterstütze ich in dieser Phase der „Vortrauer“.

Und wie steht es mit der Selbstfürsorge? Was kann man sich selbst an einem grauen Tag Gutes tun, wenn man mit Verlust zu kämpfen hat?

Selbstfürsorge beginnt oft bei kleinen Dingen: eine warme Dusche, ein Spaziergang, sich in eine Decke wickeln und die Tränen zulassen. Und vor allem: sich nicht selbst bewerten. Trauer ist keine Schwäche. Manchmal hilft es auch, sich an schöne gemeinsame Momente zu erinnern oder sich Dinge aufzuschreiben, mit denen das Tier einen immer zum Lachen gebracht hat – das kann sehr heilsam sein. Das gleiche gilt aber auch für Dritte, wie beispielsweise Tiermediziner:innen. Auch ihnen können die Verluste, besonders die Euthanasie an sich, sehr nahe gehen. In Webinaren und Schulungen gucken wir uns gemeinsam an, wie auch sie besser auf sich schauen können.

Wie ist das bei Kindern? Zeigen Kinder ihre Trauer anders und wie kann man ihnen beistehen?

Kinder trauern oft in Sprüngen. Sie können tief traurig sein und im nächsten Moment wieder fröhlich spielen – das ist kein Widerspruch, sondern ihre Art, mit Gefühlen umzugehen. Man spricht von „Pizzatrauer“, weil sie von Salamischeibe zu Salamischeibe springen. Es hilft, mit ihnen ehrlich und altersgerecht zu sprechen. Sie können oft so viel besser mit der Situation umgehen als wir denken. Sätze wie „Das Tier schläft jetzt“ sind gut gemeint, aber verwirrend, im schlimmsten Fall bekommen sie noch Angst, wenn jemand fest schläft. Besser ist: klare Worte, verbunden mit Zuwendung und der Erlaubnis, alles fühlen zu dürfen – auch Wut oder Schuld. Und vor allem auch sie einzubeziehen, indem man sie z. B. ein Bild malen lässt, das man mit einbuddeln kann oder das Kuscheltier auswählen lässt, das das Tier bei seinem letzten Gang bei sich haben soll.

Angenommen man weiß, dass das Tier eingeschläfert werden muss und nur noch wenig gemeinsame Zeit bleibt. Kann man sich auf diesen Tag überhaupt vorbereiten? Wie verabschiedet man sich vom eigenen Tier?

So schwer das klingt: Ja, man kann und darf sich bewusst vorbereiten. Viele finden Trost darin, den letzten Tag besonders zu gestalten – vielleicht mit einem Spaziergang zur Lieblingswiese, einer kleinen Portion Chicken-Nuggets, die es sonst so gut wie nie gab oder einfach stillem Zusammensein. Auch ein richtiges Gespräch – laut oder innerlich – kann helfen. Generell ist wichtig: Es geht nicht um einen „perfekten Abschied“, sondern um einen echten. Wenn ihr eher das Team Couch Potatoes wart, braucht ihr nicht am letzten Tag einen Roadtrip machen, auch wenn euch alle Optionen offenstehen. Macht es zu eurem Tag, der vor allem zu euren Gefühlen passt.

Wie kann man nach dem Tod des geliebten Tieres mit Selbstvorwürfen und der Schuldfrage am besten umgehen?

Schuld sehen wir hier ganz häufig. Selbstvorwürfe entstehen oft aus dem Gefühl von Ohnmacht oder dem Wunsch, es hätte anders laufen sollen. Gerade bei Unfällen etc. ist das natürlich eine ganz harte Nuss. Ich lade Betroffene ein, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen – so, wie sie es für ihr Tier getan hätten. Manchmal hilft es, sich symbolisch zu „vergeben“, etwa in einem Ritual oder Brief. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber kann sehr wirksam sein. Auch Gespräche in einer Begleitung können helfen, Schuldgefühle zu sortieren. Aber Achtung, manchmal ist es noch zu früh, die Schuldgefühle los zu lassen, dann brauchen die Betroffenen Zeit, selbst zu entscheiden, wie sie damit umgehen.

Es kommt leider immer wieder vor, dass Tiere entlaufen und nicht mehr zurückkommen, bzw. nie aufgefunden werden. Dann trauert man ohne zu wissen, ob das Tier noch lebt oder vielleicht tot ist. Wie verändert sich die Trauer hier? Und gibt es einen Weg, damit irgendwann abschließen zu können?

Diese Form der Trauer – „Trauer ohne Tod“ – ist besonders schwer und komplex. Die offene Frage, was passiert ist, lässt viele in einem ständigen „Was wäre wenn?“ Und „Vielleicht ist er/sie ja noch…“ zurück. Hier kann es wichtig sein, sich nach einer gewissen Zeit selbst bewusst einen Abschied zu ermöglichen – auch ohne finale Klarheit. Das bedeutet nicht, die Hoffnung aufzugeben, sondern zu versuchen, einen inneren Frieden zu finden mit dem Ungewissen. Rituale, Erinnerungsorte oder Gespräche mit anderen Betroffenen können helfen, diesen Weg zu gehen.

Hast du noch einen abschließenden Appell zum Thema Trauer?

Trauer ist nichts, was „weg muss“. Lasst sie bei euch sitzen. Sie zeigt vor allem auch einfach, dass wir geliebt haben. Gerade in der Tiertrauer ist es wichtig, sich selbst ernst zu nehmen und den Schmerz nicht klein zu reden. Es ist völlig okay und sogar wichtig, sich Unterstützung zu suchen, sich Zeit zu nehmen und neue Formen von Verbindung zu finden, wenn man merkt, dass einem irgendwas aus den Händen gleitet. Das Ziel ist nie, dass die Trauer weg ist, sondern dass sie in die neue Zukunftsvision vom eigenen Leben integriert wird und irgendwie auch zu akzeptieren, dass sie bleiben wird, als Teil von uns.

Vielen Dank, liebe Cordelia für dieses ehrliche und warmherzige Gespräch.

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