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Wer ein Tier hält, wird sich in der Regel zu irgendeinem Zeitpunkt auch mit dem Tod dieses Tieres auseinandersetzen müssen. Denn auch das Ende des gemeinsamen Lebens ist ein wichtiger Aspekt der verantwortungsvollen Tierhaltung. Leider geht es manchmal schneller als gewünscht und Tierhalterinnen und Tierhalter finden sich in Situationen wieder, in denen sie unter größter emotionaler Belastung wichtige Entscheidungen treffen müssen. Nicht selten bleiben später Fragen und Unsicherheiten, ob die Entscheidung die richtige war. Wir möchten Tierhalter:innen dabei unterstützen, am Ende des Tierlebens gut informiert zu sein, zu verstehen, was in der Tierarztpraxis geschehen wird und darauf basierend die für ihre jeweilige Situation passende Entscheidung zu treffen.
Deswegen stellt sich Dr. Laura Witting, Tierärztin und Referentin Tierschutz bei TASSO unseren Fragen rund um die Euthanasie. Sie erklärt, was in der Praxis geschieht, wie das tiermedizinische Personal solche Momente erlebt und schildert auch aus praktizierender Sicht, wie eine Euthanasie ablaufen kann.
TASSO: Laura, ich unterstelle jetzt einfach mal: Wer sich für Tiermedizin als Tätigkeitsfeld entscheidet, liebt vermutlich Tiere und möchte ihnen helfen. Dennoch ist es ja wirklich auch ein wesentlicher Bestandteil des praktischen Jobs von Tierärztinnen und Tierärzten, Leben zu beenden. Wie sich das wirklich anfühlt, weiß man zu Beginn eines Studiums vermutlich noch nicht?
Dr. Laura Witting: Ja das stimmt, die meisten werden Tierärzt:innen, weil sie Tiere lieben, ihnen helfen und mit ihnen arbeiten wollen. Für viele ist das ein echter Leidenschaftsberuf. Über Euthanasie macht man sich da erstmal nicht so viele Gedanken. Obwohl das später natürlich absolut dazu gehört. Im theoretischen ersten Teil des Studiums wird da auch erstmal nicht viel drüber gelehrt. Man wird nicht gut auf die mentalen Belastungen vorbereitet, die einem in diesem Beruf begegnen und einem wird nicht beigebracht wie man mit trauernden Menschen umgeht. Erst im praktischen Teil des Studiums kommt man mit der Euthanasie in Kontakt und man wird später im Berufsleben nicht selten ins kalte Wasser geworfen. So richtig weiß man erst, wie es sich anfühlt, wenn man selbst mal ein Tier eingeschläfert hat. In der Praxis ist es oft eine Achterbahn der Gefühle, wenn man in der Sprechstunde in einem Termin ein Tier einschläfern muss und im nächsten Termin kommt ein junger Welpe ins Behandlungszimmer gesprungen.
Du bist ja als Tierärztin ja aber nicht diejenige, die die alleinige Entscheidung trifft. Du kannst nur deine Empfehlung abgeben, die Entscheidung treffen müssen letztendlich die Tierhalter:innen.
Tierhalter:innen tragen eine riesengroße Verantwortung, wenn es um Entscheidungen für ihr Tier geht, das kann manchmal sehr schwer sein. Aber letztendlich trägt auch die Tierärztin / der Tierarzt die Verantwortung und die Entscheidung mit, wenn es um Euthanasie geht. Laut Tierschutzgesetz darf man einem Tier nicht ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen und man darf es auch nicht ohne vernünftigen Grund töten. Das heißt, eine schmerzlose Tötung, wie die Euthanasie auch genannt wird, darf nur mit einem vernünftigen Grund stattfinden. Beispiele für vernünftige Gründe sind z. B. unheilbare, mit schwerem Leid oder Schmerzen verbundene Krankheiten oder altersbedingte Veränderungen, die mit dauerhaften Schmerzen einhergehen. Das heißt, die Entscheidung muss immer im Sinne des Tieres entschieden werden und nicht aus finanziellen, wirtschaftlichen oder persönlichen Interessen. Das gilt für Tierhalter:innen und Tierärzt:innen. Letztendlich müssen Tierärzt:innen dann die Entscheidung treffen, ob sie die Euthanasie durchführen und ob die Einschläferung eines Tieres wirklich gerechtfertigt ist, auch wenn es die Tierhalter:innen zu einem bestimmten Zeitpunkt für richtig halten. Und andersherum dürfen sie nicht zulassen, dass ein Tier leidet, das eigentlich erlöst werden kann.
Das klingt herausfordernd, auch weil es vermutlich manchmal nicht so ist, dass die Situation für alle gleich eindeutig ist, oder?
Ja, Tierärzt:innen befinden sich manchmal im Spannungsfeld zwischen den Interessen des Tieres und denen der Halter:innen. Verständlicherweise sind viele Tierhalter:innen mit der Entscheidung überfordert und müssen sich auf die Einschätzung ihrer Tierärzt:innen verlassen. Diese beraten dann so gut wie möglich mit Fachkenntnissen, Erfahrung und emotionaler Distanz. Beide Seiten tragen also die Verantwortung aber letztendlich bin ich als Tierärztin auch zum Schutz des Tieres verpflichtet.
Und auch die Menschen sind ja sehr unterschiedlich. Es gibt bestimmt einige, die da recht nüchtern rangehen, während – ich nehme mal an, dass das die meisten sind – viele auch sehr emotional werden. Und dann ist da oft niemand außer dem Tierarztpraxispersonal, um das zu begleiten. Wie geht man damit um?
Das stimmt, man wird nicht darauf vorbereitet, wie man damit umgeht, wenn Menschen plötzlich vor einem zusammenbrechen oder weinen oder auch wütend werden. Trauer zeigt jeder Mensch ja ganz unterschiedlich. Tierärzt:innen sollten die Balance zwischen professioneller Distanz und mitfühlender Empathie wahren. Sie müssen medizinische, ethische und juristische Aspekte berücksichtigen und gleichzeitig noch einfühlsam auf die Halter:innen eingehen. Das ist oft sehr anstrengend und belastend. Nicht nur für Tierärzt:innen, auch für die tiermedizinischen Fachangestellten. Tiere, die sie lange betreut und um deren Leben sie gekämpft haben, wachsen ihnen auch ans Herz. In der Tierarztpraxis wird natürlich versucht, die Menschen aufzufangen, ihnen z. B. so viel Zeit wie nötig für den Abschied zu geben und gleichzeitig die nötige Klarheit zu wahren, damit sie eine ‚neutrale‘ Unterstützung in der Entscheidung bekommen. In solchen Situationen hilft ein guter Teamzusammenhalt und tolle Kolleg:innen. Allerdings wäre psychologische Betreuung für die Mitarbeitenden in Tierarztpraxen sehr sinnvoll, also Supervision, Coaching, Team-Workshops usw. Das gibt es aber leider selten.
Trotz aller notwendigen Professionalität: In der Praxis kommt es doch sicher auch vor, dass mal das Personal ein Tränchen mitweint, oder?
Ja, auf jeden Fall kommt das vor und ist ja auch einfach menschlich. Ich denke, die Balance zwischen Neutralität und Mitgefühl hängt stark von der eigenen inneren Stabilität ab, muss sich aber auch gar nicht ausschließen. Wichtige Fragen sind: Wie gut kann ich mich abgrenzen, wie ist mein mentaler Zustand gerade? Aber auch: Habe ich genügend Wissen und Unterstützung, in welchem Arbeitskontext befinde ich mich und habe ich genügend Ressourcen, um für andere da zu sein? Kurz nachdem mein eigener Hund gestorben ist, fiel es mir unglaublich schwer andere Hunde einzuschläfern und je nach Arbeitssituation oder vielleicht auch privater Situation fällt einem das mal leichter, mal schwerer sich abzugrenzen. Ich denke viele Halter:innen sind dankbar für Anteilnahme, es hilft vielen aber auch, eine professionelle Instanz zu haben, die aus medizinischer Sicht bei der Entscheidung hilft und Klarheit gibt anstatt selbst emotional und hilflos zu sein. Aber es ist leider super schwer und man sollte als Tierärztin stark auf die eigene psychische Gesundheit achten. In diesem Beruf geht es schnell, in eine Mitgefühlsmüdigkeit reinzurutschen und emotional erschöpft zu sein, das nennt man ‚compassion fatigue‘ (Mitgefühlsmüdigkeit). Dieses Phänomen kommt häufig vor in sozialen Berufen, wenn man mit dem ständigen Leid anderer konfrontiert wird und irgendwann selbst kein Mitgefühl mehr aufbringen kann. Das kann zu Burnout führen. Deshalb ist es für Tierärzt:innen wichtig sich abzugrenzen, mit Kolleg:innen zu sprechen, den Beruf nicht mit nach Hause zu nehmen und sich wenn nötig auch selbst Hilfe und Unterstützung zu suchen.
Sollten Tierhalter:innen in diesen letzten Momenten bei ihrem Tier bleiben? Und tun sie das in der Praxis oft?
Ein klares Ja aus persönlicher Sicht, das ist aber natürlich meine eigene Meinung. Ich finde es nur fair gegenüber dem Tier, bis zum Ende an seiner Seite zu bleiben. Tiere spüren, wenn die Vertrauensperson dabei ist und sie in ihren letzten Stunden nicht alleine sind. Die meisten Halter:innen wollen das auch. Aber manche schaffen es mental nicht dabei zu sein, das ist natürlich besonders traurig, sowohl für das Tier als auch für die Menschen. Aber es ist eben individuell und hängt natürlich auch sehr von der Situation ab, in der die Menschen selbst sind. Auch wie es mit Kindern geregelt wird, muss wirklich jeder Elternteil individuell entscheiden. Manche lassen ihre Kinder zu Hause, manche nehmen sie mit, damit sie sich verabschieden können. Und dann gibt es ja noch Ausnahmesituationen, in denen die Halter:innen gar nicht dabei sein können, zum Beispiel, weil das Tier während einer OP verstirbt.
Was ist deiner Erfahrung nach der häufigste Grund, Tiere einzuschläfern?
Oft tun Tiere uns nicht den Gefallen einfach friedlich einzuschlafen, sondern sie quälen sich lange, bevor sie dann tatsächlich sterben würden. Wie bei uns Menschen auch. Nur dass man bei den Tieren die Chance hat, ihnen einen Ausweg zu bieten. Tiere werden z. B. eingeschläfert, wenn sie unter anhaltenden, erheblichen und nicht therapierbaren Schmerzen leiden, die ein artgerechtes Leben nicht mehr ermöglichen. Gründe können unheilbare Erkrankungen sein, z. B. Tumorerkrankungen, aber auch akute Situationen wie schlimme Unfälle mit schweren Verletzungen. Man muss immer das Wohlergehen und die Lebensqualität des Tieres im Auge behalten und auch schauen, ob das Tier die Fähigkeit verliert, soziale Kontakte aufzunehmen, nicht mehr frisst oder trinkt oder sich nicht mehr selbstständig pflegen oder bewegen kann.
Erklär bitte mal: Wie sollte das Einschläfern aussehen? Mir ist klar, dass die Situation individuell ist und manchmal nicht alles optimal laufen kann, aber wir schauen jetzt mal auf den Idealfall, um zu verstehen, was eigentlich passiert:
Die Euthanasie sollte so schmerzfrei und stressfrei wie möglich erfolgen. Das Wort „Euthanasie“ setzt sich in seinem Ursprung aus dem altgriechischen „eu“ (gut) und „thanatos“ (Tod) zusammen, man versucht also dem Tier einen guten Tod zu ermöglichen. Am besten ist es, wenn das Ganze in Ruhe stattfindet, ohne Störung von außen und ohne Zeitdruck. Die Situation kann für die Halter:innen stark belastend sein, sie sollten also gut über den Ablauf der Euthanasie aufgeklärt werden und genügend Zeit bekommen, sich von ihrem Tier zu verabschieden. Es lohnt sich auch, schon im Vorhinein darüber zu sprechen, was mit dem Tier danach passieren soll. Allgemein versuchen alle Tiermediziner:innen die Situation so respektvoll und sensibel wie möglich zu handeln. Charakter und Stress des Tieres, Umstände und die Halter:innen müssen natürlich in dieser Ausnahmesituation immer individuell berücksichtigt werden.
Allgemein ist die intravenöse Injektion, also das Geben von Medikamenten in einen Venenkatheter, der vorher gelegt wird, vorzuziehen, wenn das möglich ist. Je nach Situation, Stresszustand und Kooperation des Tieres kann aber auch entschieden werden, dass vorher eine intramuskuläre Vornarkose nötig ist. Der schwierige und hochsensible Vorgang ‚Euthanasie‘ ist also immer eine Einzelfallentscheidung und kann individuell unterschiedlich und situationsbedingt ablaufen. Wichtig ist, dass das Tier erst das Bewusstsein verliert und dann der Herz- und Atemstillstand eintritt. Das Mittel der Wahl für eine Euthanasie ist in der Regel ein Barbituratpräparat (mit dem Wirkstoff Pentobarbital).
Schließlich muss der Tod des Tieres durch den Tierarzt/die Tierärztin festgestellt werden, zum Beispiel durch Abhören, ob noch Herz-/und Atemgeräusche vorhanden sind oder auch durch Testen von Reflexen. Dann wird oft den Halter:innen nochmal Zeit zum Abschiednehmen gegeben, wenn sie das wollen. Und dann muss natürlich noch entschieden werden, was mit dem Tier passiert.
Was passiert danach mit dem Tier?
Das Tier kann entweder von den Halter:innen mitgenommen werden, (nach gewissen Vorgaben) im eigenen Garten vergraben werden oder in der Praxis gelassen werden. Es gibt auch die Möglichkeit das Tier in einem Tierkrematorium einäschern zu lassen. Manche Krematorien holen das Tier auch zu Hause oder in der Tierarztpraxis ab, wenn das gewünscht wird. Wenn das Tier in der Praxis bleibt und nicht eingeäschert werden soll, wird es von der Tierkörperbeseitigung abholt.
Müssen Mitarbeitende in der Tierarztpraxis häufig über diese Möglichkeiten beraten oder hast du die Erfahrung gemacht, dass die Menschen schon darüber nachgedacht haben und wissen, was sie für ihr Tier wollen?
Ich habe schon den Eindruck gewonnen, dass sich viele nicht vorab damit auseinandersetzen wollen, weil das Thema Tod ja oft verdrängt wird. Daher sehe ich es schon als Aufgabe, aufzuklären und zu erklären, was passiert und was für Möglichkeiten es gibt. Aber natürlich ohne Einfluss zu nehmen, da kann man auch zu gar nichts raten, weil es wirklich eine ganz persönliche Entscheidung ist.
Vermutlich hilft es vielen Tierhalter:innen, wenn sie wissen, was es für Möglichkeiten gibt und – auch wenn es unangenehm ist – wenn sie sich im Vorfeld schon einmal mit diesem Thema beschäftigt haben. Das ist auch der Grund dafür, dass wir dieses traurige Thema so umfangreich beleuchtet haben. Herzlich Dank für deine Zeit und deine ganzen Antworten, Laura. Hoffentlich konnten wir einigen Tierhalter:innen wichtige Informationen mitgeben, sodass sie in den schwersten Stunden ihrer Tierhaltung gut gerüstet sind.
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Hilfe für die Entscheidung
Nur selten sterben alte Tiere einfach friedlich im Schlaf. Häufig leiden sie vorher unter verschiedenen Erkrankungen oder Altersbeschwerden. Doch wann ist es der richtige Zeitpunkt, sein Tier gehen zu lassen?
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Veränderungen im Verhalten
Tiere können trauern. Das ist heute wissenschaftlich gut belegt und wird von aufmerksamen Halter:innen täglich beobachtet. Ob Hund, Katze, Kaninchen oder Meerschweinchen: Der Verlust eines engen Gefährten verändert ihr Verhalten spürbar.
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Welche Möglichkeiten gibt es?
Was tun, wenn der geliebte vierbeinige Freund nicht mehr lebt? Wie möchten Sie ihn bestatten? Was dürfen Sie eigentlich? Wir haben einige Informationen zu diesem Thema aufbereitet.