Anbindehaltung von Rindern

Etwa 11 Prozent der Milchkühe in Deutschland werden noch immer im Stall angebunden

© Dr. Helmut Stadtfeld
Extrem eingeschränkte Bewegungsfreiheit: Rinder in Anbindehaltung.

Inhaltsverzeichnis

Anbindehaltung von Rindern
Rechtliche Situation 
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierschNutztV)
Beurteilung der Anbindehaltung durch Sachverständige
Rechtsgutachten
Politische Entwicklung 

Anbindehaltung von Rindern

In Deutschland wurden im Jahr 2020 insgesamt 11,3 Millionen Rinder gehalten. 4,0 Millionen davon sind Milchkühe.  11 % der Milchkühe und 9 % der übrigen Rinder wurden 2020 noch in Anbindehaltung gehalten (Statistisches Bundesamt: Landwirtschaft im Wandel – erste Ergebnisse der Landwirtschaftszählung 2020; Pressekonferenz Wiesbaden, 21.01.2021).

In Anbindehaltungen werden die Tiere im Stall auf ihrem Platz mit Halsketten, Halsrahmen oder Nackenrohren zeitweise (zum Beispiel in den Wintermonaten) oder sogar ganzjährig fixiert. Das Tier hat nur noch seinen Standplatz im Stall als „Lebensraum“, und seine vielfältigen Bedürfnisse und Verhaltensweisen wie beispielsweise das Fortbewegungs-, Ruhe-, Körperpflege-, Nahrungsaufnahme- und Sozialverhalten werden dabei erheblich bis vollständig eingeschränkt. Insbesondere die starren Halsrahmen ermöglichen den Tieren nicht einmal mehr das Hinlegen oder Aufstehen in der artgemäßen Weise. In älteren Anbindeställen blicken die Rinder sogar fortwährend auf die Wand, an der sie angekettet sind.

Sozialkontakte bestehen nur rudimentär zu den maximal zwei Nachbartieren. Im ungünstigen Fall müssen hier rangniedere Kühe direkt neben ranghöheren leben, obwohl sie vor diesen permanent Angst haben.

Erschwerend kommt hinzu, dass gerade die Anbindeställe älterer Bauart oft mit zusätzlichen tierschutzrelevanten Mängeln behaftet sind (schlechte Lichtverhältnisse, schlechtes Stallklima, zu enge Liegeplätze etc.). Da die Tiere heute größer sind, liegen sie in den alten Ställen aufgrund des Platzmangels oft mit dem Becken und dem Euter auf dem Gitterrost oder direkt in der Kotrinne beziehungsweise auf der Kante zum Kotgraben. So und zum Beispiel durch Tritte auf das eigene Euter beim Aufstehen oder Hinlegen verletzen sich die Tiere und bekommen haltungsbedingte Krankheiten (sogenannte Technopathien). Die verkürzte Liegedauer aufgrund des Platzmangels verstärkt das Problem.

Rechtliche Situation

Die Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere enthält unter Punkt 7 die Forderung, dass die artgerechte Bewegungsfreiheit eines Tieres nicht so eingeschränkt sein darf, dass dem Tier unnötige Leiden oder Schäden zugefügt werden. Ferner heißt es dort:
„Ist ein Tier ständig oder regelmäßig angebunden oder angekettet, oder befindet es sich ständig oder regelmäßig in Haltungssystemen, so muss es über einen Platz verfügen, der der praktischen Erfahrung und wissenschaftlichen Erkenntnissen nach seinen physiologischen und ethologischen Bedürfnissen angemessen ist.“

Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV)

Gemäß § 5 Nr. 3 dürfen Kälber (das heißt Hausrinder im Alter bis zu sechs Monaten) nicht angebunden oder sonst festgelegt werden.
Das Tierschutzgesetz behandelt die Anbindehaltung nicht explizit. Laut § 2 müssen Tiere jedoch „verhaltensgerecht untergebracht“ werden, und „die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung darf nicht so eingeschränkt werden, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden“.
Gleiches gilt für die Staatszielbestimmung Tierschutz durch Art. 20a Grundgesetz.

Beurteilung der Anbindehaltung durch Sachverständige

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sowie das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) kritisieren die Anbindehaltung von Rindern aus Tierschutzgründen und fordern für Kühe in dauerhafter Anbindehaltung die tägliche Möglichkeit zur freien Bewegung sowie zur Ausübung ihrer Verhaltensweisen (Effects of farming systems on dairy cow welfare and disease, Scientific Report of EFSA, 2009; Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung; LAVES 2007).

Auch der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft stuft in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ vom März 2015 die Anbindehaltung aus Gründen des Tierschutzes als problematisch ein.

Institutionen wie die Bundestierärztekammer und die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) haben im Jahre 2015 jeweils in Stellungnahmen zur Anbindehaltung von Rindern diese als nicht mehr zeitgemäß bewertet und ihr Verbot gefordert.

Der Bundesverband der beamteten Tierärzte e.V. (BbT) hat im April 2015 ebenfalls eine Stellungname zur ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern veröffentlicht, die einen schrittweisen Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern unter Vermeidung unbilliger Härte empfiehlt.

Das EU-Projekt „Welfare Quality®“ hat Tierwohl-Beurteilungssysteme für Rind, Schwein und Geflügel entwickelt. Es wird hier zwar nicht konkret auf die Anbindehaltung eingegangen. Aber es liegen die vom British Farm Animal Welfare Council (FAWC) festgelegten „Fünf Freiheiten“, die den Tieren mindestens zugestanden werden sollen, wie unter anderem das „Freisein zum Ausleben normaler Verhaltensweisen“ zugrunde. Basierend auf diesen fünf Freiheiten wurden zwölf klare Kriterien definiert; darunter Punkt 5 „Tiere sollen genügend Platz haben, um sich frei bewegen zu können“ (Unni Kjærnes und Linda Keeling: Grundsätze und Kriterien für den Schutz des Wohlergehens landwirtschaftlicher Nutztiere, Welfare Quality®).

In der rechtlich nicht bindenden Europaratsempfehlung für das Halten von Rindern vom 21. November 1988 heißt es:
3. „Unabhängig davon, ob die Tiere angebunden oder in Boxen gehalten werden, sollten die … Unterkünfte für Rinder so geplant sein, dass sie den Tieren jederzeit genügend Bewegungsfreiheit lassen, so dass sie sich mühelos scheuern und lecken können und genügend Raum haben, um abzuliegen, zu ruhen, Schlafhaltungen einzunehmen oder sich zu strecken und aufzustehen. Werden Anbindevorrichtungen oder Seile benutzt, so dürfen diese den Tieren – insbesondere beim Abliegen, Aufstehen, Trinken und Fressen – keine Verletzungen oder Leiden verursachen.“

Rechtsgutachten

Ein Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass, wie bei Kälbern, auch bei älteren Rindern von einem grundsätzlichen Verbot der Anbindehaltung auszugehen ist, „sofern nicht im Einzelfall eine artgemäße Bewegungsfreiheit gewährleistet ist“ (K. Leondarakis und L. Liedtke: Gutachten über die Rechtmäßigkeit einer Anbindehaltung bei Rindern; In: Christa Blanke (Hrsg.): Tierschutz in Deutschland. Eine Gutachtensammlung. Animals`Angels Press. Frankfurt 2014)

Politische Entwicklung

Das Bundesland Hessen hat auf der Agrarministerkonferenz am 20. März 2015 in Bad Homburg einen Antrag zum Ausstieg aus der Anbindehaltung von Rindern eingebracht, der leider keine Mehrheit fand. Im November 2015 hat Hessen einen Antrag zum Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung mit einer Übergangsfrist von zwölf Jahren im Bundesrat eingebracht (Drucksache 548/15), der am 22.04.2016 mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft teilte im Juli 2016 daraufhin mit, dass es ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern ablehnt und stattdessen auf die Freiwilligkeit der Tierhalter zu mehr Tierschutzengagement setzt.

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